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Über Testleser

Dieser Beitrag richtet sich an die Selfpublisher unter den Autoren, Verlagsautoren können hier weggucken.

 

Sie schreiben? Belletristik oder Sachtexte?

Egal, denn irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem Sie sich zu Recht fragen, was andere Menschen wohl von Ihrem Text halten werden.

Bei Sachbüchern geht es dabei ganz oft um die Verständlichkeit, die sachgerechte Aufbereitung von Informationen und die Hilfestellung, die das zukünftige Buch den Lesern geben könnte. Belletristik-Autoren brauchen jemanden, der kluge Gedanken über Spannungsbögen, Dialogqualität und Charakterbuilding äußert.

Testleser müssen, wenigstens rudimentär, Ahnung vom jeweiligen Genre haben und in der Lage sein, eine Meinung zu äußern – eine inhaltliche Zusammenfassung (von der Art, wie man sie gern in Rezensionen findet) hilft Ihnen nicht weiter (noch schlimmer sind nur Leute, die am Ende „liest sich echt gut“ oder „flüssiger Schreibstil“ murmeln).

 

Die fünf ultimativen Tipps zuerst:

  • Keine Freunde, Bekannten und Verwandten nehmen.
  • Erwartungen überprüfen (Genre, Zielgruppe)
  • Klare Ziele formulieren, Zeitvorgaben machen.
  • Tipps nicht umsetzen.
  • Tipps umsetzen.

 

Testleser sind wichtig – nur andere Menschen können beurteilen, wie sich Ihr Text liest. Man selbst kann es, ab einem gewissen Punkt, nicht. Im schlimmsten Fall ist der Leser, der Ihr Buch kauft, auch derjenige, der es als Erstes beurteilt (im besten Fall haben es Testleser, ein Lektor und ein Korrektor schon in den Fingern bzw. vor Augen gehabt). Testleser sind wertvoll – sie machen ihren Job kostenlos und sparen Ihnen womöglich Ihre kostbare Zeit. Oder Ihr kostbares Geld, das Sie ansonsten für Lektorate/Korrektorate bezahlen müssen. Zur Erinnerung: Lektorate/Korrektorate werden umso teurer, je mehr Aufwand der Lektor hat. Sparen Sie sich einige Runden, indem Sie gute Vorarbeit leisten.

Das beste Argument für Testleser ist: man wird seinen eigenen Text nicht nur leid, sondern erkennt auch die Fehler nicht (Das Foto zeigt eine Liste der Fehler in meinem letzten Roman, die erst bei der allerletzten Korrektur – NACH Lektorat, Betalesern, Korrektorat (!) aufgefallen sind. Auch Korrektoren sind nur Menschen, und bis zu einer bestimmten Fehlerquote ist alles okay).

Testleser sind leicht zu finden: schauen Sie in den entsprechenden Seiten, Schreibforen und Gruppen Im Netz, z.B. bei Facebook. Aber achten Sie darauf, ob der gewillte Leser weiß, was er da tut. 

 

Es gibt drei Sorten von Testlesern: 

  •  Leute, die einen lieben.
  •  Leute, die man kennt.
  • Leute, die zu keiner dieser beiden Gruppen gehören.

 

Es ist sinnvoll, nach Testlesern aus der letzteren Spezies Ausschau zu halten. Warum? Darum: Für Ihre Verwandten und Freunde ist es unmöglich, Ihr Buch wertfrei zu lesen. Sie werden immer nach Parallelen zu sich selbst und Ihnen suchen, und je nach Sympathiegrad finden sie es per se gut oder schlecht.

Für Leute, die mit Schreiben und Büchermachen nichts am Hut haben, ist es unmöglich, Ihren Schreibstil sachlich zu beurteilen: Sie können nur sagen, ob es gefällt oder nicht.

Ihre Schwester, Ihre Freundin, Ihre Mama wird entzückt über Ihre geistigen Ergüsse sein. Sie wird leise Kritik an irgendwas äußern und ansonsten alles gut finden, was Sie tun.

 

Nur Lob hilft Ihnen aber nicht. Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen und nur TLs aus der Verwandtschaft und dem Freundeskreis nehmen, können Sie sich die Mühe eigentlich auch einfach sparen.

Was man als Autor braucht, ist Ehrlichkeit. Und eine fundierte Einschätzung. Je nach Erfahrung des Testlesers erhalten Sie mehr oder weniger wertvolle Ratschläge.

Es ist mit Sicherheit kein Fehler, Fachleute mit ins Boot zu holen: Autoren lesen anders als Leute, die nicht selbst schreiben. Polizisten lesen anders als Menschen, die die Krimis nur im Fernsehen anschauen. Und jemand, der Kinder hat oder schon ein paar Wochen in Frankreich gelebt hat, sieht Ihren Familienurlaubsroman von der Cote d’Argent vermutlich anders als Singles, die ihr Leben lang an die Nordsee gefahren sind. Fragen Sie! Ein paar Eckdaten sollte Ihnen jeder Testleser im Gegenzug für Ihr Manuskript schon verraten wollen.

 

Was man als Autor noch braucht, ist Kritikfähigkeit. Und ein dickes Fell. Es ist nicht vergnüglich, von einem unbekannten Testleser abgebügelt zu werden. Aber noch weniger schön ist es, sein gehätscheltes Manuskript von einem teuer bezahlten Lektor mit der Bemerkung zurückzukriegen, dass man doch bitte erst mal die meteorkratergroßen Plotlöcher schließt, bevor man an die Feinheiten geht.

 

Wie viele (Testleser) dürfen’s denn sein? Das hängt von Ihrer Geduld und Ihren Nerven ab. Wenn Sie zehn Testleser haben, brauchen Sie ewig, um alle Rückmeldungen unter einen Hut zu bringen und müssen jedem drei Mal das gleiche erklären. Zwei werden zu wenig sein, fünf schon wieder zu viel. Tipp: eine ungerade Anzahl nehmen.

 

 

Erwartungen überprüfen bedeutet nichts anderes, als dass Sie und Ihre Testleser die gleiche Wellenlänge haben sollten.

Es hilft Ihnen gar nichts, wenn jemand bevorzugt Horrorstories liest und nun Romance beurteilen soll. Wenn jemand eingefleischter New Adult-Fan ist und jetzt Ihren Entwicklungsroman dieser 49-jährigen mit der Patchworkfamilie lesen soll. Wenn jemand regalweise Chick Lit zuhause hat und nun eine schwermütige Autobiografie von Ihnen kriegt. Es wird schon schwierig, wenn jemand immer Krimis liest und nun einen ausgefeilten Psychothriller mit 750 Seiten aufgedrückt bekommt (das ist übrigens bei der Suche nach einem passenden Lektor ähnlich).

 

Um derlei Verwirrung zu vermeiden, müssen Sie Ihre Zielgruppe definieren, und zwar für jedes Buch aufs Neue: Geschlecht, Alter, sozialer/kultureller/familiärer Hintergrund, Wünsche, Ängste, Lesegewohnheiten.

Zielgruppen und Genreeinteilung werden ja gern belächelt (oft von Leuten, die nicht so richtig erfolgreich sind mit ihren Büchern). Stellt es euch vor wie das Schubladensystem in einer Apotheke: Aspirin ist unter A einsortiert, nicht unter K wie Kopfweh oder gar unter H wie Headache. Das dient der schnellen Auffindbarkeit, und es hilft dem Patienten gar nichts, wenn die Schublade mit dem K dran besonders hübsch dekoriert ist. Wenn Sie also einen Fantasythriller mit starken Romance-Anteilen geschrieben haben, der aber auch irgendwie ein Krimi ist, sind sie selbst schuld.

Wenn Sie Kuchen backen wollen, brauchen Sie dazu keine Matjesfilets (oder nur in ganz besonderen Ausnahmefällen. Wenn sie zum Beispiel mit Zwillingen schwanger sind). Und wenn Sie ein Fischgericht kochen, ist die Schokolade meist verzichtbar.

Eine Zielgruppe, die aus „Frauen von 18 bis 60“ besteht, wird schwierig zu beglücken sein. Überlegen Sie: Wer wäre Ihr idealer Leser? Bei mir sind das gebildete Frauen zwischen 30 und 50, USA-affin, kinderlos, scheidungserfahren und berufstätig.

Genau nach solchen Kriterien suchen Sie Ihre Testleser aus.

 

Welches Geschlecht sollen Ihre Testleser haben?

Haben wir nicht gerade erst über die Zielgruppe gesprochen? Es gibt ein paar Ausnahmen. Männliche Leser können bei Liebesromanen sehr aufschlussreiche Hilfestellung sein. Ausnahme von der Ausnahme: Erotik. Wenn Sie Erotik schreiben, müssen Sie sich überlegen, ob Sie für Männer oder für Frauen schreiben.

Und Vorsicht mit denen, die „alles“ lesen, und alles gleich gern: Das impliziert bei mir immer den Verdacht, vor allem an kostenlosen und/oder neuen Lesestoff kommen zu wollen. Oder sich auf Kosten eines Autorenneulings beeumeln zu wollen.

Ich denke, Sie verstehen das Prinzip: Klarheit schafft Leser.

 

An die Sachbuchautoren: Sachbuchautoren sind oft so gefangen von ihrem Thema und ihrer Expertise, dass sie es kaum bemerken, wenn der Rest der Welt nur noch Bahnhof versteht. Suchen Sie sich Leser, die echtes Interesse an der Thematik haben und die unterschiedlich vertraut damit sind. Ein Buch über Fliegenfischen müssen Sie Anglern zeigen, aber keinem Jäger. Ein Katzenbuch braucht keinen Hundefreund. Jemandem, der Reiseratgeber für den Nordwesten der USA schreibt, ist mit einem Schlösserfreak an der Loire nicht wirklich geholfen. Capiche?

 

Der richtige Zeitpunkt

Suchen Sie sich Ihre Testleser nicht zu früh: Sie sind schnell verschreckt und haben oft keine Lust, über die grobe Fehler hinwegzulesen, die man mit ein bisschen Mühe leicht selber ausbügeln kann. 

Das Manuskript sollte abgeschlossen sein oder zumindest fast fertiggestellt: Wohin die Reise wirklich geht, wissen Sie erst dann, wenn Sie nahezu fertig sind (Ausnahme: Autoren, die jedes einzelne Kapitel ausführlich plotten. Aber das macht kaum einer. Falls doch, lassen Sie das testlesen.) Es hilft Ihnen nichts, ein Viertelchen Ihres Textes von jemandem beurteilt haben zu wollen.

Falls Sie wissen möchten, ob Sie schreiben können, lassen Sie ein Kurzgutachten im Lektorat machen, das zeigt Ihnen Ihre grundsätzlichen Stärken und Schwächen auf. Auch ob ein Plot funktioniert, die Charaktere gut sind und ob man generell mit seinem Schreibstil auf die Menschheit Leserschaft losgelassen werden sollte, kann ein Lektor mit Hilfe eines Kurzgutachtens schneller klären.

Geben Sie keine Rohversion raus. Sie geben ja (hoffentlich) auch keine Rohversion ins Lektorat. Bei aller Liebe: Wer will sich für lau mit unformatiertem Texten quälen, deren Fehlerquote bei 5,0 liegt?

 

Was sind Alpha- und Betaleser? Ganz einfach: Alphaleser lesen eine frühe Fassung, um Inhalt und Struktur zu beurteilen. Betaleser lesen eine späte Version, idealerweise die nach dem Lektorat, und achten auf das, was der betriebsblinde Autor nicht mehr erkennt: Logik, Stil, Wiederholungen, gerne auch Grammatik. Alpha und Beta kann auch dieselbe Person sein, aber finden Sie mal jemanden, der sich Ihre 500 Seiten zweimal zu Gemüte führt und auch noch vergleicht! Man muss nicht Alpha- und Betaleser haben. Für viele Autoren sind Testleser nichts anderes als Vorableser – zeitlich angesiedelt zwischen Lektorat und Veröffentlichung. Für mich wäre dies auch der früheste und einzige Zeitpunkt, an dem ich fremden Augen mein Manuskript zeigen würde: nach dem Lektorat und dessen Einarbeitung, aber vor dem Korrektorat.

Testlesen ist ganz oft eine Scherenkrabbentaktik: zwei Schritte vor, einer zurück. Was machen Sie, wenn Testleser A dies will, Testleser B aber jenes? Testleser C fragen? Glückwunsch J

Ich habe nur Beta-Leser. Die kriegen im Anschluss an das Lektorat ein Viertel vom Manuskript und sagen mir, ob sie weiterlesen möchten. Dann gibt’s den nächsten Teil. Testleser sind dazu da, zu sagen, wo es rumpelt und hakt.

 

Ziele formulieren, Zeitvorgaben machen

Beides ist wichtig für Ihre Organisation. Sagen wir, Sie möchten Ihr Buch Anfang November veröffentlichen, damit es zu Weihnachten ein Verkaufsschlager wird. Dann wird Ihre Überarbeitungsphase im Sommer stattfinden. Im September müssen Sie mit dem Buch nämlich ins Korrektorat. Ein gewisser Zeitraum ist also den Testlesern vorbehalten, denen Sie klarmachen, dass Sie ihre geschätzte Meinung innerhalb von soundsovielen Wochen brauchen.

 

Formulieren Sie Fragen: Was möchten Sie wissen? Ich bin gut damit gefahren, Listen zum Abhaken an die Testleser herauszugeben. Testleser lesen. Sie sollen nicht ellenlange Begründungen schreiben müssen (die meisten würden Ihnen was husten). Multiple-Choice ist auch gut.

Nicht bewährt hat sich meiner Erfahrung nach, Chatgruppen zu gründen und über Ihren Text diskutieren zu lassen: das wirft Sie um Jahre zurück, glauben Sie es mir. Eine gute Sache ist

Gehen Sie die Sache rechtzeitig an, aber gewähren Sie für dreihundert Seiten keine sechs Wochen Zeit, wenn zwei reichen. Drücken Sie aber auch nicht zu sehr auf die Tube: wenn Sie zum 1. Advent veröffentlichen wollen, ist es im Oktober zu spät für Testleser (dieser Tipp gilt auch für die Suche von Lektoren und Korrektoren: gehen Sie davon aus, dass die Leute Aufträge und sogar Wartezeiten haben).

 

Sinnvoll ist es, Testlesern ein Word-Dokument zur Verfügung zu stellen, weil man problemlos darin Anmerkungen machen kann. Machen Sie es sich und ihren Testlesern so leicht wie möglich. Glauben Sie nicht, Sie wären nur mit einem PDF auf der sicheren Seite: Man kann .pdf-Dateien relativ problemlos verändern.

 

Testleser „arbeiten“ unentgeltlich. Wenn jemand eine Entlohnung fürs Lesen verlangt, sollte es sich schon um einen Lektor oder Korrektor handeln. Natürlich bleibt es Ihnen unbenommen, sich bei einem Testleser erkenntlich zu zeigen, aber normalerweise ist testlesen eine kostenlose Gefälligkeit von Leuten, die gern etwas ganz Neues lesen oder (wie ich) den Horizont erweitern und üben wollen.

 

Wenn sich jemand meldet, der Ihr Buch test- oder vorablesen möchte: Freuen Sie sich und seien Sie großzügig mit E-Books. E-Books kosten Sie nichts. Erwarten Sie nicht, dass der Testleser hinterher noch Ihr Buch kauft; das wird nicht passieren. 

Schicken Sie niemals das ganze Manuskript auf einmal. Tasten Sie sich ran. Lassen Sie Ihren Testlesern die Freiheit, aufzuhören, wenn sie nichjt mehr mögen. Oft stellt man nach ein paar Kapiteln fest, dass man nicht mehr weiterlesen möchte. Eine kurze Zusammenfassung zu dem bisher Gelesenen steht Ihnen allerdings zu!

Was sinnvoll ist: Testleser zu Leserunden einladen (zusätzlich zu „normalen“ Lesern, nicht stattdessen!). Sie kennen Ihr Buch bereits und haben vielleicht zudem einen Einblick in die Hintergründe, weil sie schon lang und breit mit Ihnen darüber diskutiert haben. Das kann hilfreich sein.

Mit Glück finden Sie engagierte Testleser, die in der Lage sind, Ihnen die Schwächen Ihres Manuskriptes aufzuzeigen (die gibt es. Immer.) Kein Testleser wird Ihnen alle Fehler korrigieren (falls doch: festhalten! Bauchpinseln! Nie mehr vom Haken lassen! Pralinen schicken!), aber er wird Ihnen bestimmt sagen, ob Sie die gewünschte Stimmung transportieren oder wo es überflüssige Wiederholungen gibt.

 

Fragen Sie Ihre Testleser danach, ob

  • Ihre Protagonistin sympathisch /zum Weglaufen / zickig / zum Verlieben / eine Identifikationsfigur (=Leserin beneidet Protagonistin) ist, oder ob sie völlig irre und unverständlich rüberkommt.
  •  Ihr Antagonist böse / geheimnisvoll / abstoßend ist, oder ob womöglich kein Mensch versteht, welches Problem die Leute mit ihm haben
  • Ihre Zeitsprünge und Rückblenden verständlich sind, oder ob der arme Leser am Ende noch verwirrter ist als zuvor
  • man sich wohlfühlt / ausreichend Angst hat / geweint hat / gelacht hat
  • es Wiederholungen und Überflüssiges (Redundanzen) gibt
  •  falsch gewählte Begriffe aufgefallen sind
  • die Sprache flüssig ist oder man an jeder Ecke über Fremdworte und Schwurbeleien stolpert
  • es Handlungen gibt, die beim besten Willen nicht nachvollziehbar sind
  • die Erzählung flüssig und spannend ist, oder ob das Geschwafel überhandnimmt.

 

Es ist Ihre Welt, Ihre Charaktere, Ihr Plot. Es ist Ihr Buch, und Sie werden sich schon was dabei gedacht haben.

Achtung: Das heißt nicht, dass man keine Kritik annehmen sollte.

Testleser sind normalerweise sehr sorgfältig und haben einen guten Blick für Unstimmigkeiten.

Aber wo es grundsätzlich langgeht, das bestimmen nur Sie. In Kleinigkeiten dürfen Sie großzügig sein, aber die Richtung müssen Sie beibehalten. Heißt übersetzt: Sie dürfen vom Weg abkommen und an den Blümchen schnuppern, aber irgendwie müssen Sie ihr Ziel erreichen. Ihr Ziel ist das, was in Ihrer Plot-Planung steht. Nicht das, was der Leser gerne hätte.  Natürlich gibt es Fälle, wo man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht und gut beraten ist, den ein oder anderen Hinweis aufzugreifen.

 

Nachdem Sie einen zeitlichen Rahmen gesetzt haben, möglicherweise gelegentliche Wasserstandsmeldungen oder Rückfragen bekommen haben und am Ende eine kleine Zusammenfassung der gewonnenen Eindrücke, machen Sie sich bitte Gedanken darum, wie Sie mit dem Erlebten umgehen.

Verhalten Sie sich professionell. Bedanken Sie sich und tragen Sie es mit Fassung. Sie werden sicherlich irgendetwas gelernt haben. Seien Sie vorsichtig mit überschwenglichem Lob: Es mag einen unter hundert Texten geben, der unverhohlene Zustimmung findet. Oder einen unter zweihundert. Wenn fünf Testleser über Ihre Story völlig ausflippen, stimmt sehr wahrscheinlich die Wahl der Testleser nicht. Und wenn Sie feste Testleser haben und alle finden alles immer toll – glauben Sie, das geht mit rechten Dingen zu?

 

Dann ist Ihr Dokument wieder da. Es gibt Testleser, die fassen Ihre 650 Normseiten in drei Sätzen zusammen (nicht so gut). Andere schreiben halbe Gutachten drunter und zeigen Ihnen Ihre Schwächen, aber auch die Positiva akribisch auf. Sowas ist (fast) unbezahlbar und zeigt, dass Ihr Testleser sich wirklich mit der Sache auseinandergesetzt hat.

    So. Und jetzt?

Sie haben zwei Optionen: die Tipps umsetzen – und die Tipps nicht umsetzen.

Je mehr Testleser Sie gefunden haben, umso mehr werden die Meinungen vermutlich auseinandergehen. Wenn alle einhellig einer Ansicht sind, ist das ein seltener Glücksfall. Seien Sie dankbar. Aber was, wenn nicht?

Dann überlegen Sie, was Sie wollen: Ihr Manuskript soll Ihr Manuskript bleiben. Sie können es nicht jedem recht machen. Wenn aber drei Leute unabhängig voneinander zu dem Schluss kommen, dass Ihre Adjektivitis nervt oder Ihre Sexszenen zwar irgendwie süß, aber irgendwie auch zum Gähnen sind (oder: irgendwie süß, aber irgendwie auch zu explizit) sollten Sie vielleicht etwas Extra-Zeit investieren.

 

Es gibt Testleser, die sich als oberste Instanz der Textpolizei verstehen. Überdenken Sie die Zusammenarbeit, wenn Ihr Testleser möchte, dass Sie

            

  • die Erzählzeit wechseln („aber Colleen Hoover schreibt immer im Präsens, Präteritum mag ich nicht, hast du nichts  anderes?“)
  • die Erzählstimme (POV) wechseln („ich lese eigentlich keine Romane in der Ich-Form, aber…“)
  • den Handlungsort wechseln („eigentlich müssen Mafia-Geschichten aber in Chicago spielen, statt in Bad                  Neuenahr“)
  • sonst was ändern („der Beruf der Hauptperson sollte aber lieber CEO sein. Und wieso ist der Typ eigentlich kein      Milliardär? Ich steh eher auf 50SoG. Kannst du das noch einbauen?“
  • das Ende ändern („also, das der jetzt stirbt, darauf komm ich nicht klar.“)
  • Namen ändern („ich hatte mal einen Freund namens Klaus-Dieter und werde deshalb mit deinem Prota leider nicht  warm. Nenn ihn doch Connor oder Aidan oder sowas, am besten aus Schottland!“)

  

Wenn Sie mit einem Testleser gut klarkommen (und beim nächsten Buch dem Genre treu bleiben): festhalten. Bitten, nochmal zur Verfügung zu stehen. Vergraulen Sie ihn nicht – gute Testleser sind Gold wert.

 

Erwarten Sie von einem Testleser keine Facharbeit über Ihr Buch. Es gibt Autoren, die schicken einen fünfseitigen Fragenkatalog mit und bitten um ausführliche Meinung von der Charakterentwicklung bis zur Perspektive und der Authentizität des Settings.

Testleser sind Testleser: engagierte Laien. Keine Literaturkritiker, keine Germanisten, keine Feuilleton-Journalisten (zumindest sehr selten).

Den gleichen abschreckenden Effekt hat eine Art „Vertrag“, eine Verschwiegenheitsklausel. Glauben Sie wirklich, der Testleser diskutiert Ihr Manuskript in berufener Runde? Wenn Sie sich ums Urheberrecht sorgen, lesen Sie sich hier ein.

 

Und wie ist das mit dem Textklau?

Ideen kann man stehlen, aber nicht schützen. Jede Idee war schon mal irgendwie da. Sie haben einen Roman verfasst, nicht das Rad neu erfunden. Grundsätzlich kann man alle Bücher auf ein paar Prämissen herunterbrechen, die es jeweils schon mindestens hundertneunzig Mal gegeben hat.

Was Ihr Manuskript ausmacht, ist die Umsetzung dieser Idee: Geben Sie zehn Autoren dieselbe Prämisse, und Sie werden zehn (wahrscheinlich zwölf) komplett unterschiedliche Texte zurückbekommen.

Niemand schreibt so, wie Sie es tun. Ihr Werk ist von Beginn an durch das Urheberrecht geschützt. Wenn jemand nach dem Lesen hingeht und ein E-Book draus bastelt und das bei Amazon hochlädt, verklagen Sie denjenigen nach Strich und Faden, denn Sie können anhand Ihres Werkfortschritts beweisen, dass Sie zuerst da waren.

Wenn Sie wirklich befürchten müssen, dass ein Testleser Ihnen das Manuskript unterm Hintern wegklaut und damit beim nächstgrößeren Verlag als sein eigenes ausgibt, brauchen Sie keine Testleser.

 

 

©MMcGary 2020 

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