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Ach, du schreibst Kinderbücher.

Das Satzzeichen in der Überschrift hat seine Berechtigung.

Kennt ihr das, wenn ihr jemandem erzählt, dass ihr schreibt? Unweigerlich kommt die Frage, was man denn schreibt.

Und dann senkt das Gegenüber so komisch die Stimme, ein wenig abwartend/abfällig am Ende; ein Tonfall, der impliziert: so so. Hab ich mir's gedacht.. Schnulzen und Kinderbücher, ist klar.

Ein Tonfall, der impliziert: brauchen wir gar nicht weiterreden.

Einer, der impliziert: hmm. Womöglich noch im Selfpublishing. Da hat sie sich ja mal das Einfachste rausgesucht.

 

Das hier wird für einige von euch ein bisschen ketzerisch klingen, aber ich frage mich, ob es wirklich so eine gute Idee ist, sich als erste Veröffentlichung als Selfpublisher ausgerechnet ein Kinderbuch vorzunehmen. 

 

Zum *Üben* hab ich erstmal für Erwachsene geschrieben. Zuvor habe ich Content für Websiten gemacht, Kolumnen veröffentlicht und als Lektorin gearbeitet, auch für Verlagsbücher.  Das muss man natürlich alles nicht, und ich gehe dabei auch nur von mir selbst aus – aber ich bin froh, dass mein Start nicht das Kinderbuch war. Zum Warmwerden zunächst etwas anderes herauszubringen, kann vorteilhaft sein. Warum denke ich so komisch?

Am Kinderbuch hängen SO viele Emotionen und SO viel Erwartung. Natürlich fließt in jedes Buch das berühmte Herzblut und unendlich viel Mühe und Zeit, aber ein Kinderbuch… ein Kinderbuch ist nochmal eine Nummer größer und schöner und wichtiger. 

Romane sind – zumindest in manchen Genres – Massenware. Ja, das klingt bitter für die Einzelschicksale, die sich die monatelang daran abarbeiten, aber es ist trotzdem so. Noch schneller als in den Kinderbuchlektoraten werden die Mails mit den Bewerbungen für ein Romance-Manuskript zur Seite gewischt, wie die no-matches bei Tinder, oft schon nach der ersten Zeile (ich weiß, wovon ich rede, ich bin eine von denen, die wischt. Im E-Mail-Eingang. Nicht bei Tinder. Nur, damit ich das mal klargestellt habe), und am allerschnellsten wischt der Lektor bei Fantasy-Projekten. Isso.

Tut mir leid.

Was ich sagen will: Kinderbuchprojekte bergen ganz andere Schwierigkeiten, und die sind oft auch noch größer als bei „normalen“ Büchern. Dass man mehrere, ganz unterschiedliche Zielgruppen bedienen muss, ist nur eine davon. 

Vielleicht ist es einfacher, erst einmal das selfpublishen an sich zu erlernen. Sich freizuschreiben. Auszuprobieren, wie weit man alleine gehen kann und wann es Zeit ist, sich Hilfe zu holen. Wahrscheinlich könnten viele Tränen  vermieden werden, wenn man seine Kunst zunächst an einem weniger anspruchsvollen, weil nicht zwei- oder mehrgeteilten Publikum testet. Wenn man seine Anfängerfehler an einem Publikum macht, das nicht ganz so kritisch ist, sondern wohlwollender mit dem Produkt umgeht.

 

Ich habe immer das Gefühl, die Kinderbuch-Bubble besteht nur aus Autoren und all denen, die weitestgehend unter dem schicken Begriff „Influencer“ subsumiert werden können. Viele ahnen gar nicht, wie schlecht sich Social Media als Vermarktungsinstrument eignet. "Kinderbuch" heißt: viel mehr Arbeit. Nicht nur bei der Umsetzung deiner Idee (Altersgruppe! Illustrationen! Besondere Anforderungen des Lektorats!), sondern vor allem auch in der Vermarktung. Bei den meisten Liebesromanen reicht es, das Buch auf amazon einzustellen und ein bisschen zu bewerben. 

Beim Kinderbuch muss man mehr tun, um die Zielgruppe zu packen. Niemand interessiert sich so sehr für dein Kinderbuch wie die anderen Kinderbuchautoren. 

 

Das glaubt ihr nicht? Seht euch die Kommentare unter Gewinnspielen an. Seht euch die Kommentare allgemein an. Wer applaudiert da? Die Leute, die in einer vergleichbaren Situation sind. Seht euch eure Follower an. Wie viele davon sind Leser, die euer Buch gekauft haben? Wie viele davon sind KollegInnen, und wie viele davon sind Newbies, die von eurer Erfahrung profitieren möchten (im positivsten Sinne des Wortes; es ist gut, von Leuten, die den Weg schon gegangen sind, zu lernen)?

Ich kann kaum zählen, wie viele Anfragen ich nach der Meldung, die erste Auflage ist verkauft, hatte. Ich mache das gern: helfen, erklären. Aber leider hat nicht jedeR das von mir zu hören bekommen, was er/sie hören wollte. 

 

Bei manchen dieser Fragen bin ich aus allen Wolken gekippt. Man fragt sich, wie genau sich die Urheber mit der Sache beschäftigt haben, für die sie jetzt von den Leuten Geld nehmen wollen. Wie unterscheidet sich ein Kinderbuch-Text von einem für Erwachsene? Was muss ein Kinderbuch-Lektorat machen? Warum  ist es nicht die allergroßartigste Idee, im Ausland drucken zu lassen? Warum sollte man nur hochwertige Bindungsarten in Betracht ziehen, und warum sind E-Books im Kinderbuchbereich zu vernachlässigen? Wie gehe ich mit Problemen um, die massenhaft Zeit verschlingen? Zum Beispiel, dass das Papier nicht nur teuer, sondern stellenweise einfach alle ist? Das man dieses oder jenes einfach nicht tun darf, wenn man einigermaßen gut dastehen will? Dass man nicht auf jeden Rat hören muss, aber Alleingänge auch nicht gerade das Mittel der Wahl sind? Dass man UN-BE-DINGT jemanden braucht, der ehrlich zu einem ist und möglicherweise auch mal von etwas abrät? Dass Themen in Büchern durchaus ein Verfallsdatum haben?

 

Einen sehr großen Anteil an der verbesserten Qualität von Kinderbüchern der letzten Zeit hat die Kinderbuchmanufaktur, weil Nora und Kathrin zusammen mit einigen Mentoren die Schritte aufzeigen, die man mindestens tun muss, um am Ende ein vorzeigbares Produkt mit maximaler persönlicher Nervenschonung zu haben. Für mich kamen die Tutorials größenteils ein bisschen spät, aber ich lerne gern noch dazu – und revidiere auch mal manche Dinge. 

 

 

Man sieht den Erfolg an der Qualität der Einreichungen bei Wettbewerben und in den Lektoraten. Der Anteil an (Kinder-)Büchern von Selfpublishern, die nicht nur in den Augen der Macher mit Verlagsprodukten mithalten können, ist stark gestiegen.

Dem Leser/Buchkäufer ist es egal, ob ein Buch aus einem Verlag stammt oder selbst verlegt wurde, solange die Qualität stimmt. Mit schiefem Satz, dilettantischen Illus und zehn Rechtschreibfehlern gewinnt man keine Leser, und das Buch steht nicht im Laden, wenn es keine Blicke auf sich zieht. Liebhabereien sind nett und eine persönliche oder familiäre Bereicherung, aber geht es nicht darum, Leser glücklich zu machen?

 

Beim Selfpublishing eines Kinderbuchs sind die Anforderungen per se höher. Man hat mehr Schritte zu bewältigen, höhere Kosten zu stemmen und braucht einen genaueren Plan. Nicht ohne Grund werden mehr und mehr Kinderbücher von Selbstverlegern mittels Crowdfunding finanziert, und nicht ohne Grund ist die Zurückhaltung in den Verlagen, ein vollfarbig illustriertes Kinderbuch einzukaufen, gestiegen.

 

Ich habe übrigens nicht als erstes ein Kinderbuch veröffentlicht, sondern 2017 mit einem Kurzgeschichtenwettbewerb (4. Platz) angefangen. Danach kamen mehrere Bücher: Anthologie, dann Liebe, Hunde, Polizei. Wie schlau oder nicht schlau ist, in mehreren Genres zu veröffentlichen (oder gleichzeitig Verlagsautorin und Selfpublisherin zu sein), können wir ein andermal beleuchten.

 

Das Selbstverlegen mit einem qualitativ hochwertigen Kinderbuch zu beginnen, ist hohe Schule, und jede(r) AutorIn, die das tut, hat meinen höchsten Respekt.

 

©megmcgary 10/2022 

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