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Lektorieren macht unglücklich

Fragen Sie mal in einer Autorenrunde, warum die Leute schreiben. Sie kriegen todsicher von mindestens 30 % die Antwort: "weil die Geschichte aus meinem Kopf raus muss."

Aha. Kann ja sein. Aber muss sie deshalb in einen PC? Oder sogar auf Papier? Für das Menschen, die gern lesen, bezahlen? 

Lesen macht unglücklich. 

(Nein, nein, nicht die Sorte Buch, bei dem man vor Ergriffenheit fünf Kapitel lang heult, bis sich die Seiten wellen. Auch nicht die Sorte Buch, bei denen man so mitleidet, dass einem der Text vor den feuchten Augen verschwimmt. So etwas ist kein Unglück, sondern pure Emotion und ein Qualitätsmerkmal.)

Es gibt jedoch leider eine Menge Geschichten, die wären besser in den Köpfen geblieben. Also, in denen ihrer Erschaffer. 

Stop. Break. Erst noch was erklären, bevor gleich wieder der nächste Shitstorm über mich hereinbricht: Schlechte Texte gibt es bei Selfpublishern, aber auch bei Verlagsbüchern. Sogar Erfolgsautoren hauen gelegentlich ein mieses Buch raus. Die Verlage verkraften sowas, keine Sorge. Sind ja auch selbst dran schuld. 

Für einen Selfpublisher, einen Anfänger womöglich, bedeutet ein schlecht gemachtes** Buch häufig: Karriere-Ende. Selbst dran schuld ist er - leider - aber auch. Es ist heutzutage so einfach, ein Buch zu veröffentlichen. Leider glauben viele Autoren, mit dem Schreiben und dem Veröffentlichen sei es getan.

Dem ist nicht so, denn zwischen "Schreiben" und "Veröffentlichen" gibt es ein paar wichtige Schritte, die man besser nicht auslassen sollte. Jedenfalls nicht, wenn man den Ruf des gemeinen Selfpublishers nicht noch weiter schädigen will. 

 

Ich schreibe. Aber ich lektoriere auch. Beides seit einigen Jahren. Ergänzend gestehe ich (ein bisschen hämisch), dass ich beides aus reiner Freude an diesen Tätigkeiten mache:  hat für mich in etwa den gleichen Stellenwert wie nähen, gute Filme gucken, mit Freunden essen oder mit meinen Hunden spazieren gehen.*** 

 

Sehr gerne lese ich. Aber die Art zu lesen verändert sich, wenn man schreibt und lektoriert. Man sieht genauer hin. 

Schreiben geht mir leicht von der Hand. Schreibblockaden sind mir fremd. ich bedauere die armen Kollegen, die sich mühsam von Satz zu Satz kämpfen. ich verstehe, dass man froh ist und das Ding unter die Leute bringen will, wenn man endlich damit fertig ist, wenn man es irgendwann geschafft hat. Die meisten kommen übrigens gar nicht so weit. Die weitaus meisten Bücher bleiben irgendwo unterwegs auf der Strecke. "Fertig werden" ist die oberste Maxime. 

Um fertig zu werden, unternimmt man verschiedene Dinge. Eine sinnvolle Reihenfolge wäre zum Beispiel: plotten, schreiben, überarbeiten (zwei bis drei Mal), Testleser finden, lesen lassen, überarbeiten, Lektor finden, Lektorat, heulen, wieder aus dem Mülleimer holen, überarbeiten, Korrektorat, überarbeiten, veröffentlichen.

Uff.

Zwischen Lektor finden und Lektorat fehlt noch was: einen Plan machen. Machen Sie sich klar, was Sie von Ihrem Lektorat erwarten. Ein Lektorat ist kein Korrektorat (und umgekehrt), und auf keinen Fall kann man beides in einem Rutsch machen. Sie werden vermutlich auch nach einem Lektorat (und sogar nach dem Korrektorat) noch den einen oder anderen Fehler in Ihrem Buch haben. Weil: Lektoren (und Korrektoren) sind Menschen.

 

Lektorieren (und korrigieren - so, und jetzt reicht das mal hiermit. Sie wissen ab sofort, was gemeint ist!) ist eine sauschwere Arbeit und nur für Leute geeignet, die sich richtig gut konzentrieren können und total viel Durchhaltevermögen haben.

An guten Tagen schaffe ich am Stück sechs, sieben Seiten (gemeint sind immer "Normseiten") eines fremden Textes oder zwei Seiten eines eigenen Textes. 

Letzteres dient eigentlich nur dazu, meinem Lektor Arbeit zu ersparen. Jeder falsche Begriff, den ich vor ihm finde, jedes Komma, das ich vor ihm verbessere, und jede überflüssige Leerstelle, die ich vor ihm tilge, spart dem Lektor Zeit (und mir Geld, denn bei einer hohen Fehlerquote haut der miese Abzocker tatsächlich was drauf!).

Fragen Sie sich jetzt, wozu eine Lektorin einen Lektor beschäftigt? Gegen Geld? Bist du irre, McGary?

Die Frage ist berechtigt, aber nicht besonders klug. Lektorieren kann man fremde Texte. Eigene kann man nur überarbeiten.

 

Durch einen Text kommt man (also, "ich". Kann gut sein, dass andere das ganz anders machen) wie folgt durch:

1.: am Stück lesen. Ergebnis: man weiß, was Sache ist. Wer mitspielt. Welche Stimme der Autor hat. Ob es logisch klingt und alles gut zusammenpasst.

2: Dann geht man den Text Satz für Satz durch und schreibt Anmerkungen bei jeglicher Auffälligkeit rechts an den Rand. Führt dazu, dass der rechte Rand voller ist als das ganz Normseiten-Blatt und hat meist eine entsetzlich erschreckende Wirkung auf den bedauernswerten Autoren, wenn der sein Kapitel dann zurückerhält. Und entweder stinkwütend wird, oder heult. (Und dann darauf verzichtet, die Ratschläge anzunehmen - deswegen gibt so viele Bücher, die trotz "angeblichem" Lektorat grauenhaft schlechte Sätze aufweisen. Oder eine konsequent falsche Satzzeichen-Landschaft. Wer nicht hören will, muss fühlen. Das Gute daran ist: bei manchen Genres ist das egal, die Leser merken es eh nicht. So erklärt sich der Hype bei manchen Produkten von YA/NA/Erotik, wo der Fehlerquotient deutlich, deutlich über 1 liegt.)

Geht mir auch so. Mein Manuskript ist auch voller Randbemerkungen, wenn es von Alex, Irina oder Mila zurückkommt. 

Hat ein bisschen was von "ich sehe was, was du nicht siehst:"  Man sieht es selbst nicht. Nicht wirklich. Man beschützt nämlich seine kostbaren Worte und will verhindern, dass der böse Lektor sie sterben lässt.

 

Das ist keine böse Absicht und dient nicht dazu, den Autoren vorzuführen. Es dient der Qualität des Textes, und jede Anmerkung ist nichts anderes als ein Vorschlag. Ob Sie ihn annehmen, entscheiden nur Sie. Niemand zwingt Sie, den Satz so zu schreiben, wie der Lektor es empfiehlt. Sie können auch gern alles anders machen, Ihre drei Adjektive vorm Nomen einfach behalten, hochkreative Inquit-Formeln erfinden oder Plotlöcher lassen, wie sie sind.  Sie müssen gar nichts. 

 

Beim Verhältnis Lektor/Autor ist es superwichtig, dass man sich versteht. Dass der eine begreift, was der andere meint. Es ist ein Vertrauensverhältnis. Funktioniert nicht immer! Deshalb: Probelektorat vereinbaren.

Ein Probelektorat ermöglicht dem Autor, abzuschätzen, ob sich eine gemeinsame Wellenlänge finden lässt. Wenn Sie alle Änderungsvorschläge doof finden, ist der Nenner kein gemeinsamer. Und wenn der Lektor Ihren Text nicht versteht, weil ihm erforderliches Wissen fehlt (spezifische Themen, wissenschaftliche Themen), kann er manche Tücken nicht aufspüren. 

Sie müssen also vorher Erkundigungen einziehen.  Es hilft Ihnen kein bisschen, blutrünstigen Horror von jemandem lesen zu lassen, der "eigentlich" nur High Fantasy lektoriert. 

Und jemand, der null Ahnung hat von Polizeizeug, wird vielleicht nicht bemerken, dass es erst ab einem bestimmten Zeitpunkt blaue Uniformen in Deutschland gab oder dass die Mordmerkmale nicht wie von Ihnen beschrieben sind, sondern anders (ja, längst nicht jeder Autor informiert sich über sowas! Bedauerlicherweise!).

Viele Lektoren behalten sich vor, ein Manuskript nach dem ersten Probedurchgang abzulehnen. Sehen Sie das als Gewinn: wenn der Aufwand zu groß ist, ist es am Ende nicht mehr Ihr Text - oder unbezahlbar.

 

Ein nicht ganz so intimes Verhältnis müssen Sie zu ihrem Korrektor herstellen. Hier darf es streng sachlich zugehen: Rechtschreibung und Zeichensetzung unterliegen klaren Regeln. Die gilt es korrekt (sic!) anzuwenden. Ende Gelände. 

Auch hier wieder: gute Vorbereitung ist die halbe Miete und spart vielleicht Geld. Ihres. 

 

Ein professioneller Auftritt ist alles. Ihr Buch kann der Knaller des Jahrhunderts sein - wenn niemand es aufschlägt, weil Cover und Klappentext grottig sind, wird der Knaller des Jahrhunderts leider unbemerkt bleiben. 

Wenn Ihr Jahrhundertknaller ein gutes Cover hat, der Klappentext ein Reißer ist und die Story gut, gibt es nur noch eins, das den Leser vergrault: Fehler. 

Okay, es gibt Leser, die Fehler nicht bemerken. Möglicherweise, weil ihre Kenntnisse der deutschen Sprache, auch als Muttersprachler, zu gering sind. 

Als Autor darf man eine ganze Menge, aber eines dürfen Sie niemals tun: den Leser unterschätzen. 

Gehen Sie nicht davon aus, dass das Gros der Leser Ihre Fehler überliest, ignoriert oder gar toleriert. Und verkaufen Sie die 20 Fehler in den ersten fünf Kapiteln bitte nicht als "eigenen Stil".

 

Kommafehler im ersten Absatz? Bin ich Leser, lese ich die Seite zu Ende. Finde ich noch einen, verliere ich die Lust. Ich lese nicht mehr, sondern betreibe nur noch Fehlersuche: Der Korrektor in meinem Kopf hat den neugierigen Entdecker mundtot gemacht.

Bei Fehler Nummer drei im 1. Kapitel ist für mich Schluss. Weg mit dem Buch. "Zu viele Fehler belegen den Egoismus des Autors und den fehlenden Respekt gegenüber seinem Leser", habe ich neulich im Netz gefunden, leider anonym.

Ein Buch hat in der Regel pro Leser nur eine Chance. Vergeben Sie sie nicht. Wäre sicher schade. 

 

Lektorieren macht unglücklich. Beispiel 1:

Mail: "Hallo nach Kassel, ich möchte bitte ein Lektorat. Nach rund zwei Jahren ist nun mein Buchbaby endlich fertig, ich bin sehr glücklich darüber und möchte es gern bei (hier beliebigen SP-Distri einsetzen) herausbringen. Ich würde es gern zur Buchmesse/zu Ostern/vor den Sommerferien/zu Weihnachten/ veröffentlichen. Ginge das bei Ihnen?"

1. Rückmail: "Liebe(r)..., herzlichen Dank für Ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit unserem Textbüro (...). Bitte beantworten Sie uns zur Beurteilung des Auftrags noch ein paar Fragen. In welchem Genre schreiben Sie denn? Welchen Umfang hat Ihr Manuskript?"

Mail: "Hallo, gern. Genre: Liebesgeschichte mit Spannung und Fantasy-Elementen, ungefähr 240 Seiten."

Oh. Genremix. Hm-hm. Aber geringer Umfang. Okay.

2. Rückmail: "Liebe Frau X., vielen Dank. Sehr gern können wir ein kostenloses Probelektorat machen. Bei Auftragsannahme berechnen wir pro lektorierter Normseite 2 Euro zzgl. MwSt. Bitte lesen Sie auch unsere AGB."

Mail: "Okay, aber kann man am Preis noch was machen? Ich bin noch Anfängerin."

3. Rückmail: "Liebe Frau X., bitte orientieren Sie sich an unserer Preisliste und unseren AGB. In bestimmten Fällen können auch Pauschalpreise vereinbart werden. Wir behalten uns vor, Aufträge zurückzugeben. Bei hohem Aufwand kann eventuell ein Aufpreis erhoben werden, selbstverständlich nach vorheriger Rücksprache."

Mail: "Probelektorat war kostenlos?"

4. Rückmail: "Liebe Frau X., wie Sie unserer Internetauftritt entnehmen können, ist das Probelektorat - maximal 10 Normseiten  - ohne Berechnung. Es umfasst folgende Leistungen: (hier folgt eine Absprache, was bzw. was nicht gemacht werden soll)"

11 Normseiten (weil zufällig das Kapitel auf der vorvorletzten Zeile der 11. Seite endet) werden zeitnah übersandt. Wunderbar.

Nach zwei Tagen bin ich damit durch. Was, zwei ganze Tage für die paar Seiten? Alle Achtung, haha, sportlich! Nein, nicht zwei ganze Tage, aber es gibt ja noch anderes zu tun. Mails schreiben, zum Beispiel.

Mail: "Hallihallo nach Kassel, habe Ihre Anmerkungen gelesen. War erst ziemlich geschockt. Habe alles umgeändert. Ist wunderbar geworden. Danke auch für die ergänzenden Tipps anhand des Exposees. Super, wie Sie das gemacht haben. Vielen herzlichen Dank! Habe auch viel dabei gelernt."

Ich lasse zwei Tage verstreichen und erkundige mich dann, 5. Rückmail: "Das freut mich sehr. Wenn Sie Möchten, übersenden Sie uns gern Ihr Manuskript."

    Darauf warte ich heute noch.

Das Buch erschien im April.  Die ersten 11 Seiten waren klasse. Die nächsten 261 (es hatte wohl etwas zugenommen, das Buch) nicht so. 

In der bis heute einzigen Bewertung (3 Sterne) steht: "Schönes Thema. Aber dem Buch hätte ein Lektorat echt gut getan."

Ja. Meine Rede. 

Nachdem so was ein paar mal vorkam, hatte ich endlich auch was gelernt: Pauschale für Probelektorate einführen. 

Und Mailverkehr einschränken.

 

Beispiel 2:

"Du schreibst doch auch, kannst du mal über meinen Text gucken? Sind nur 5 Seiten. Kurzgeschichte für einen Wettbewerb. Ist ein bisschen eilig."

Es erreicht mich ein kruder Mix aus allen möglichen Hirngespinsten, aber mit guter Grammatik. Ich bessere die schlimmsten Macken aus, streiche zwei der drei Adjektive vorm Nomen, ersetze falsche Begriffe durch richtige, korrigiere Zeitformen. Das schriftstellerische Pendant zu einem Lackstift, obwohl der ganze Kotflügel Matsch ist.

Mail: "Ich glaube nicht, dass mir der Text jetzt noch gefällt."

Mir ja auch nicht. Aber besser als vorher ist er schon. 

Eingereicht wurde dann der Original-Text, mit leichten Verbesserungen. Nie wieder was von gehört. 

Lektorieren macht unglücklich. 

 

Beispiel 3:

Krimi. Setting: hessische Stadt, zeitgenössisch. Mord, zwei Leichen, Schusswunden. Mit Lovestory. Lieblingsdisziplin! Ich freu mich :-)

Die Freude hält bis zum Probelektorat, Seite 3, der erste Tote. Auftritt: Streife. Auftritt: Kripo. Auftritt: Staatsanwalt (?) und Pathologe (!), danach der Erkennungsdienst (?!).  Ahnungslos stochert der Autor (24, Student) im Polizeialltag seines Ermittlers herum. Ich gebe das Manuskript zurück und empfehle dem Autor, es zunächst selbst zu überprüfen, gerne auch mit einem Rechtschreibprogramm. Eine längere Auflistung der schlimmsten Verheerungen habe ich angefügt, bin ja kein Unmensch. Ergebnis: bei Facebook entfreundet. Beleidigt. Bis heute kommentiert der Junge meine Blogbeiträge mit bösen Kommentaren. Aber das Buch ist bis heute nicht erschienen.

Lektorieren macht unglücklich, aber manchmal kommt man sich auch vor wie im Kindergarten. 

 

Beispiel 4:

Thriller (oder das, was die Autorin dafür hält), mit Lovestory. Weiblicher Cop, Setting: Savannah, Georgia. Leichen, Schusswunden, Drogen. Spusi, Knast, das volle Programm. Wieder: Freude!

  Diesmal überlebt der Auftrag das Probelektorat.

Aber es ist so unfassbar viel Arbeit, dass ich die Annahme bereue und heftig verfluche. Das Buch erscheint.

Mit ungefähr der Hälfte der logischen, örtlichen, rechtlichen und verfahrenstechnischen Fehler, die ich gerne eliminiert gesehen hätte. Ob es jemand merkt? Keine Ahnung. Ich merke es und zucke jedesmal zusammen, wenn eine amerikanische Besonderheit von der Autorin so dargestellt wird, wie sie eben dargestellt wird. Aber so ist sie falsch. Die Autorin war nie in Georgia. (Sie kann noch nicht mal gut Englisch. Ob man das muss? Nein. Hilft aber ungemein bei der Recherche.)

Ich schon. Zufall: Ich war eine Weile mit einem GI zusammen, ein wunderschöner Mann, eine der Lieben meines Lebens - oh. Pardon. Was wollte ich...ah! Habe eine Weile dort gelebt und gearbeitet. Als Kellnerin. Nicht als Cop. Als Cop in den USA hospitiert habe ich erst später. Damit wollte ich jetzt ausdrücken, dass man mir Georgia- (und Oregon-, und Florida-, und New York-) technisch nicht so ganz leicht was unterjubeln kann, insbesondere nicht in einem Polizei- und Justizkontext.

Sollte ich mich nicht ärgern? Ich hab mein Geld dafür bekommen, aber es war hart verdient. Wir haben jeden fraglichen Satz diskutiert. Einsicht: gering. Jetzt machen die Cops dort in dem Savannah-Revier Dinge, die es dort garantiert noch nie gegeben hat. 

Und vorne im Buch steht mein Name. Es steht dort: "Lektorat". Es steht dort nicht: "Lektorat, jedenfalls die 50%, gegen die sich die Autorin aus Gründen der Glaubwürdigkeit jetzt echt nicht mehr wehren konnte, obwohl sie die andere Hälfte der Verbesserungsvorschläge heroisch ignoriert hat".

Wer die Fehler erkennt, zurückblättert und ungläubig ins Impressum guckt, denkt garantiert: McGary, aha. Gott, ist die doof.

Bloß gut, dass da nicht "McGary" steht, weil es McGary nämlich erst seit Februar 2019 gibt,  und zwar nur zu einem Zweck: um unbehelligt Romane schreiben zu können.  Und fiese Blogartikel. 

 

Lektorieren macht unglücklich, wenn man gegen Wände anrennt, aber ich gebe nicht auf. Weil ich die Hoffnung nicht aufgeben kann, dass die Qualität selbstverlegter Bücher vielleicht doch noch zu steigern ist, wenigstens, wenn's um Polizei geht. Und weil ich nicht möchte, dass sich Menschen, die gern und durchaus auch gut schreiben, öffentlich zum Deppen machen. 

 

Beispiel 5.

Was Neues: Eine Liebesgeschichte für Jugendliche, angeblich "einige wenige" altersgerechte Sexszenen. Dann:  Schwerer Motorradunfall. Mit Happy End, allerdings. Das ist doch mal was für mich! Nichts wie ran. 350 Seiten, Zielgruppe: Teenies, 13-17 Jahre alt. Ein Riesenpublikum! Traumjob. 

Der Traumjob relativiert sich, als ich erkenne, dass die Autorin 29 Jahre alt ist und offenbar längst vergessen hat, wie das war, mit 15, schwer verliebt in den coolsten Jungen, und was da ging und was nicht. Die Sexszenen beschreibt, deren keine 15Jährige gewachsen ist. Deren 16Jähriger Protagonist sexuelle Heldentaten verbringt, die einem den Schweiß auf die Stirn treiben. Das Manuskript strotzt vor Sex in allen Variationen. "Zielgruppe?" schreibe ich an den Rand, denn die ist bei diesen Protagonisten noch drei, vier Jahre jünger. Ich sehe Zwölfjährige vor mir, die kichernd über ihrem Handy mit der Kindle-App hängen, aber auch Mütter am Rande des Nervenzusammenbruchs.

 

Traurig macht mich auch, dass gerade die jungen Autoren so schwache Sexszenen schreiben. Haben die keine Romantik in ihrem Leben? Haben die mit 24 noch nie jemanden so richtig, richtig gewollt? Und warum muss alles einen BDSM-Touch haben? Gibt es heutzutage keinen guten Sex ohne Hilfsmittel mehr? Doch, das IST traurig! Natürlich kann man von einer knackigen Mittzwanzigerin nicht das Repertoire einer erfahrenen, begabten Vierundvierzigjährigen erwarten, aber hey, ihr seid doch AUTOREN! 

 

Als Lektor ist man vor allen Dingen eins: neugierig auf Geschriebenes. Man ist total heiß auf diese neue Stimme,auf diese neue Welt in diesem Manuskript,  auf diesen Text. Deswegen nimmt man es an,  liest und merkt: oh.

Genau so arbeiten Verlage auch. Sie lesen die ersten paar Seiten. Und legen es dann meist weg.

Als Lektor kann man es aber nur selten weglegen, sondern muss sich damit beschäftigen. Es gibt Texte, die sind unlektorierbar,  weil sie viel zu viel Aufwand erfordern würden. Solche Manuskripte gebe ich zurück mit einem kleinen Gutachten,  einer Beurteilung, und hoffe, der Autor ist nicht zu verbohrt oder zu unbelehrbar, um dennoch zu glauben, er hätte den neuen Fitzek geschrieben, und ich bin nur zu blöd, um das zu erkennen.

Ich wage die Behauptung, dass 90 % der angehenden Selfpublisher (die meisten davon eigenartigerweise auf Verlagssuche, wie kürzlich eine Umfrage in einem der großen Foren ergab) ziemlichen Mist zu Papier bringen (falls sie überhaupt imstande sind, ihr Werk zu beenden). Besonders als Selfpublisher muss man alles dafür tun, dass sich das Buch möglichst wenig von Verlagspublikationen unterscheidet - optisch und inhaltlich.  Dazu gehört ein tolles Cover, ein guter Klappentext und ein ordentlicher Buchsatz. Und: ein möglichst fehlerfreier Text. Fehlt eines dieser Elemente, zementierst du den schlechten Ruf der meisten Selfpublisher.  

Aber dazu sagt dann garantiert einer, dass auch in Verlagsbüchern Fehler zu finden sind, oder dass die Leser Fehlerchen gern ignorieren, sofern die Story toll ist. Klar.

Solange das Verhältnis stimmt. 

Ach, da fällt mir noch was ein: Was ist das eigentlich in letzter Zeit, dass jeder Neu-Autor nicht einfach ein Buch schreibt, sondern eine ... Trilogie. 

Pentalogie.

Oktologie! 

Hallo? Ich glaube, es liegt daran, dass den Leuten eigentlich nur ein großes Thema einfällt. Was soll man machen, wenn Variationen und Ideen begrenzt sind!  Also: Mehrteiler. Puuh. 

Schreibt! Schreibt alles, was ihr möchtet, und wenn der Stoff so umfangreich ist, schreibt bitte Reihen oder Serien, aber keine fünfteiligen Fortsetzungen. Die Geduld des Lesers ist begrenzt. Spannung und Interesse sind begrenzt. Epische Breite ist nicht genauso gut wie epische Tiefe. In manchen Fällen ist es besser, nicht bis Band 7 zu kommen ;-)

Es sei denn, man hat das magische Double-"R"im Namen. 

Dann, nur dann darf man eine Dekalogie schreiben, mit Personallisten so dick wie Telefonbücher ;-)

 

 

 

*Hm. Sofort assoziiere ich Aliens und andere grässliche Monster an Orten, wo sie nichts zu suchen haben,  und denke insgeheim: Uh. Hat was von bestimmten psychischen Störungen, so eine Antwort. Allerdings weiß ich auch ganz genau, was wirklich drin ist in menschlichen Köpfen. Und wie das aussieht, in verschiedenen Aggregatzuständen. Doppel-Grusel. Zweiter Gedanke: Abstand! Nichts wie weg.

 

**Ich schrieb oben Buch "machen", weil man als Selfpublisher eben genau das tut. Klar, das Buch wird auch "geschrieben", logisch. Aber hey... die Sache mit dem Schreiben ist ja fast die geringste Mühe. 

Um was man sich da alles kümmern muss...ist Stoff für den nächsten Artikel ;-)

 

***Allerdings bin ich privilegiert. Heißt: Auch wenn ich mal nicht viele Bücher verkaufe, muss ich mir trotzdem keinen Kopf machen. Das entspannt die Angelegenheit mit dem Schreiben ungemein.Geil! Allerdings musste ich dafür auch ü50 werden und gewisse Opfer bringen. Mit Anfang, Mitte 30 hätte ich das nicht gekonnt. Und als ich Kinder zu erziehen hatte, stand mir der Kopf bestimmt nicht danach, Lovestories ins Laptop zu tippseln. Im Gegenteil, ganz im Gegenteil! Ob deshalb so viele Frauen auf Horror stehen?  

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