Du hast eine Idee, die dich umtreibt. Eine, aus der man gut ein Buch machen könnte.
Schreiben kannst du. Also los!
Aus der Idee, dem Keim, wird ein Ziel. Du hast die Fähigkeit, aus dem kleinen Körnchen etwas Größeres zu machen. Zunächst ist es ein zarter Trieb, ein Pflänzchen. Aus dem zweiblättrigen Dingelchen wird eine veritable Pflanze, dann ein Bäumchen, schließlich ein Baum mit dicken, tragfähigen Ästen, aber auch hie und da einem Vögelchen, das darin nistet. Wenn dann noch eine besonders schöne Blume am Fuße deines Riesen wachsen darf und ein paar Schmetterlinge in seiner Krone umherflattern, ist es perfekt. Für die Reise dort hin wäre es von Vorteil, wenn du, der Autor, die folgenden Eigenschaften (Fantasie sowie die Fähigkeit zur korrekten Anwendung der Sprache, in der du schreibst, setze ich voraus) besäßest:
1. Durchhaltevermögen
Dass Schreiben der langwierigste Teil (nicht der langweiligste!) am Bücherschreiben ist, hat sich sicher herumgesprochen. Von der ersten frohen Zeile bis zu dem Tag, an dem dein Buch im Laden/im Netz steht, sind aber eine Menge mehr Widrigkeiten zu überwinden. Tägliches(!) Schreiben bzw. die tägliche Arbeit am Manuskript ist nur eine davon.
2. Strategisches Denken
Schreiben ist toll und das Beste an der Sache. Kreativität macht Spaß! Wenn es fließt, fühlst du dich wie ein Gott, der Welten, Personen und Schicksale erschafft. Zum Buch gehört aber vor allem: Planung. Das heißt nicht, dass die Geschichte bis ins Detail einem Plot unterworfen werden muss. Es heißt, dass du eine Vorstellung davon brauchst, wie man sinnvoll vorgeht (hier mögen sich die Verlagsautoren und die Selfpublisher das jeweils zutreffende aussuchen): Schreiben. Überarbeiten. Testlesen. Lektorieren. Korrigieren. Ein Cover muss her. Ein Klappentext! Und ein Titel! Eine Inhaltsangabe! Eine Autorenvita, ein Exposé, ein Verlagsanschreiben. Wann mache ich was? Du brauchst einen Fahrplan. Und willst ja mal fertig werden! Bücher, die vor drei Jahren begonnen wurden, können leicht inaktuell werden, abgesehen davon, dass dein Schreibstil und deine Motivation sich ändert. Wann ist der beste Zeitpunkt? Wann beginne ich sinnvollerweise mit Werbung? Wann starte ich mit der Facebook- Autoren-Seite, wann mit der Homepage? Und wann ist das Buch denn überhaupt tatsächlich käuflich zu erwerben? Brauche ich eine Messepräsenz? Sollte ich an die Medien herantreten? Und wenn ja, wann? Mach dir einen Plan. Aber übertreibe es nicht! Jegliche Fachsimpelei über die richtige Farbe deines zukünftigen Signierstiftes kann warten, bis das Buch veröffentlicht ist.
3. Führungskompetenz
Jedes Mal, wenn ich lese: „meine Figuren machen, was sie wollen“ oder „hach, ich schau einfach, wohin die Reise geht“ wird mir ganz schwummerig. Hallo? Du bist Autor. Autor bedeutet u.a.: Schöpfer, Veranlasser. „Veranlasser“! Autor bedeutet nicht ferngesteuerte Schreibkraft. Du bist der Chef im Ring. Du hast das Sagen. Du lenkst und leitest. Aber dazu braucht man eine Vorstellung, wo es hingehen soll. Sieh zu, dass du die hast. Und dann: sei autoritär!
4. Geduld
Lerne, zu warten. Entweder schlummert dein Manuskript auf irgendeinem Verlagsserver vor sich hin, oder du wartest, dass die Agentur endlich den „Richtigen“ für dich gefunden hat, oder du wartest, bis BoD endlich in die Pötte kommt – irgendwie wartet man immer. Achtung: Geduld ist nicht Ausdauer. Durchhalten ist Ausdauer. Die kleine Schwester von Durchhalten ist: Disziplin. Dabei kann dir niemand helfen.
5. Einfühlungsvermögen
1. Lerne deine Charaktere kennen. Wisse, über wen du schreibst. Die Optik ist dabei das geringste Problem. Gehe mit deinen Figuren überallhin, auch ins Bett. Nimm sie mit in die profanen Alltagssituationen, aber auch in die Grenzsituationen. Lerne, wie sie wann reagieren.
2. Lerne deine Leser kennen. Wisse, für wen du schreibst. Definiere deine Zielgruppe. Wer sagt, von 18 bis 80, macht es sich leicht. Je genauer du deinen Leser kennst, umso besser kannst du dich auf ihn einstellen. Sie werden es dir danken und fühlen sich ernstgenommen. Außerdem macht es das Marketing leichter.
6. Mut
Was willst du? Die 28. kuschelige Liebesgeschichte mit wunschgemäßem Happy End schreiben, passend für jede Frau zwischen 18 und 75, um nur ja alles mitzunehmen und niemanden zu verschrecken? Bücher, die schnell geschrieben, schnell gelesen und sofort vergessen sind? Oder willst du heiße Eisen anpacken? Schwierige Lebensläufe thematisieren? Kantige Charaktere schaffen? Recherchieren bis zum Umfallen, den Weg zu Fachleuten gehen, die süffisant über deine dummen Fragen grinsen? Dinge aussprechen, die man normalerweise nicht sagt? Wörter gebrauchen, die keiner mehr kennt? Willst du ein (oder zehn oder zwanzig) Zelt(e) bauen - oder eine Kathedrale? Willst du in Erinnerung bleiben? Oder untergehen im breiten Brei der unauffälligen Texte / Schicksale / (und ganz besonders!) Cover? Mut braucht man, um verteidigungsbereit zu sein. Dein Buch will nicht nur geschrieben, sondern auch beschützt und gehätschelt werden.
7. Vergangenheit
Worüber willst du schreiben, wenn du keine Erfahrungen hast? Klar kann man alles googeln. Man kann auch „von Kindesbeinen an“ geschrieben haben. Es kommt darauf an, was! Habe ich auch, nämlich: Tagebuch. Über das, was ich erlebt und gesehen habe. Reisen rund um die Welt, ehrenamtliche Arbeit mit fürchterlichen Bildern, gewonnene und verlorene Wettbewerbe. Über diverse Berufe, die einem besonders als Frau viel abverlangen; über die Männer, die ich geliebt habe, über das Kind, das ich verlor und über jenes, das ich bekommen durfte. Ein breites Erlebnisspektrum und ebensolches Allgemeinwissen hilft bei der Einordnung der Dinge. Seit lernbereit! Nimm neue Situationen neugierig an, liebe, lese, lese, lese, lerne so viel du kannst. Sammle Erfahrungen, geh tanzen, lache, weine. Reise, gehe an deine Grenzen und darüber hinaus. Erlerne einen Beruf, der dich herausfordert. Schau genau hin. Habe eine Meinung. Aber sei selektiv! Nicht jede Erfahrung muss gemacht werden. Pass auf dich auf! Beschäftige dich mit unterschiedlichen Menschen. Deine Erlebnisse und Erfahrungen sind die Grundlage für die 120000 funkelnden Wörter, aus denen dein Mosaik, dein Buch wird. Sei offen. Auch für Leid.
8. Leidensfähigkeit
Beim Schreiben bist du allein. Der Lektor macht dir seitenweise Ärger. Sogar bei der fünften Überarbeitung findest du noch Fehler. Die Testleser verstehen dich nicht. Kritiken ziehen dich runter. Dein Buch kommt nicht aus dem Quark, das Ranking macht dich fertig, die Geldquelle sprudelt nicht wie erwartet. Du postest was bei Facebook und erntest nichts als konträre Meinungen. Sturmerprobtsein ist hilfreich! Hey, es ist nur Facebook. Es sind Fremde. Vielleicht jemand, der neidisch ist. Oder dem deine Nase nicht passt. Jemand, der genau das auch sagen wollte. Jemand, der dir einfach eins auswischen will. Du schreibst über die Dinge, und andere lesen, was du schreibst. Du tust etwas Ungewöhnliches: formulierst deine Meinung, baust dir dein Universum. Das Austeilen ist dir in die Wiege gelegt! Du willst gelesen werden. Du willst wahrgenommen werden. Dann mach dich auf Gegenwind gefasst. Lerne, einstecken zu können. Lerne, mit Beleidigungen umzugehen. Lerne, dich nicht völlig in Frage zu stellen. Lerne: cool bleiben.
9. Leidenschaft
ist das Gegenteil von Halbherzigkeit. Leidenschaft hebt dich über die Durststrecken und den Hindernisparcours hinweg. Warum lädt man sich freiwillig so viel Arbeit auf? Um sich anmeckern zu lassen? Nein. Weil es einem etwas gibt. Weil du dich besser fühlst, wenn du schreiben darfst. Wenn du anfängst zu schreiben, wird dein Leben dual. Mindestens. Bei allem, was dir widerfährt, checkst du unbewusst: na, was fürs Buch? Dein Plot begleitet dich überall hin, in jede Lebenslage. Er ist immer bei dir. Um das eine Weile durchzuhalten, braucht man Leidenschaft. Und Liebe! Nicht nur Selbstliebe (= du traust es dir zu!), sondern auch eine gehörige Portion Liebe zu dem, was du tust. Und Liebe zu anderen, denen, für die du es tust, denen du etwas geben willst: Unterhaltung, Offenbarung, Rat. Oder schreibst du etwa doch nur für dich und deine Schublade?
10. Konformität
Wenn aus einem Manuskript ein veritables Buch werden soll, braucht man ein paar sehr langweilige Tugenden. Sorgfalt und Akribie zum Beispiel dienen der erfolgreichen Fehlersuche, der Wahl des korrekten Begriffes und der Einhaltung gewisser Regeln. Ja, Regeln. Klar, du bist Künstler. Aber auch die außergewöhnlichste (Schreib-)Kunst wird sich nur schwer würdigen lassen, wenn der Leser sich über deine Rechtschreibfehler oder die eher willkürliche Interpunktion ärgert. Deshalb gibt es auch so viele erfolgreiche Schreibratgeber. Man muss nicht jede Regel beherzigen, aber die wichtigsten zu kennen, ist kein Fehler. Es mag den EINEN unter Hunderten (Tausenden?) geben, der mit überragendem Talent und sonst nix vom tollsten Verlag entdeckt und stante pede zum Bestsellerautor gemacht wird. Wenn du dieser EINE bist, herzlichen Glückwunsch! Falls nicht, lautet die gute Nachricht: Du kannst daran arbeiten und dich stetig verbessern. Gleiches gilt für eine gewisse Anpassung an das, was das Volk gewohnt ist und will: Zu schräg fällt (vielleicht) auf, aber leider auch oft durch. Viel damit zu tun haben auch andere langweilige Ratschläge wie: der richtige Preis. Das richtige Genre. Die richtigen Metadaten.
11. Nonkonformität
Yesss! Anarchie statt Poesie. Siehe auch „Mut“! Wenn du dich komplett anpasst, könnte es sein, dass du – chamäleongleich! – gar nicht gesehen wirst. Daher musst du dich durch irgendetwas aus den Legionen anderer, die ebenfalls Bücher schreiben, hervorheben. Das Selfpublishing, habe ich gestern gelesen, bringt PRO MONAT über 1000 neue Titel hervor. Okay, nicht alle werden den Weg in den Handel finden, aber allein die schiere Wucht dieser Zahl ist erschlagend. Ist es eins der ultimativen Ziele? Ein Haus bauen – einen Baum pflanzen - einen Sohn zeugen … und ein Buch schreiben? Hat man das heutzutage auf der to-do-Liste? Dann mach bitte eine TADA!-Liste draus: Dein Buch braucht ein Alleinstellungsmerkmal. Mit dem 112. bad boy / CEO (sic!) / Milliardärsgedöns könnte das eventuell schwer werden, falls du nicht derjenige bist, der die 111 vorherigen auch schon erfolgreich unter die Leute gebracht hat. Bücher wie Erdnüsse: zahlreich. Und schnell konsumiert. Hebe dich ab! Durch ein besonders tolles Cover. Einen besonders einprägsamen Titel. Eine wirklich tolle Website. Oder, am besten, durch eine supertolle Geschichte zwischen deinen beiden Buchdeckeln mit dem besonders tollen Cover nebst genialem Klappentext ;-)
12. Selbsterkenntnis
Es gibt viele fantastische Autoren. Es gibt so wunderbare Bücher, geschrieben von Menschen „wie du und ich“, die tagsüber einem Beruf nachgehen, ihre Kinder erziehen, ihren Haushalt wuppen und irgendwie nebenher ein Buch verfassen, dass einem Tränen des Glücks, der Begeisterung und der Rührung in die Augen treibt. Aber es gibt auch genauso viele hoffnungslos Selbstüberschätzte, bei denen es ein Graus und eine Qual ist, sich durch ihre Bücher friemeln zu müssen. Realistische Selbsteinschätzung (spätestens nach der Rückmeldung Dritter) ist eine ebenso wertvolle Gabe wie Sprachtalent und Erzählkraft.
Danke J Der nächste McGary-Blog beschäftigt sich (höchstwahrscheinlich) mit dem Versuch einer Charakterisierung von Autoren.
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Dagmar (Dienstag, 05 März 2019 07:05)
Super geschrieben. Vieles genau auf den Punkt gebracht. Danke.